Eine Matrone als Vorbild?

Livius, Sekundarstufe II



Die Lucretia-Anekdote als zweite Gründungssage 

(Liv. 1.57.6 – 59.2)

Historiographisch gesehen ist der Anspruch, in Lucretia eine vorbildhafte Matrone zu besitzen, von ganz besonderem Interesse. Es ist nämlich denkbar, dass Livius die auf objektivierende Darstellung zielenden leges historicae ablehnt und deshalb eine Anekdote einfügt. Das ist der Sinn der livianischen Historiographie, die vom annalistischen Schema ausgeht, die Erzählzeit im Verhältnis zur erzählten Zeit jedoch freier handhabt.

Die ungewöhnliche Sprache, das Kennzeichen dieser Anekdote, ist von einer klaren Strategie bestimmt. Deren letztes Ziel ist der von Brutus gesprochene Eid. Das Vertrauen in das etruskische Königshaus ist geschwunden. Der Wechsel zur Konsularverfassung bahnt sich an. Dieser entscheidende „Fortschritt“ in der Geschichte Roms muss vom Geschichtsschreiber durch entsprechend konstruierte Reden motiviert und legitimiert werden. Dies geschieht anhand von Brutus und im Voraus anhand von Lucretia.

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