Eine Frage der Liebe

Augustinus

Augustinus: Die Zweistaatenlehre

Wenn durch die Magie der Worte eine Idee geboren wird, die sich auswächst und dann als imposantes Gedankengeflecht in der Luft schwebt, zum Greifen nah, wird es schwierig, ihre Herkunft zu bestimmen und zu sagen, was ihr nachwachsen wird. Es ist der Kunstfertigkeit eines Kirchenschriftstellers zu verdanken, dass die seit Jahrhunderten in der Luft liegende Romidee – Roma aeterna – Imperium sine fine dedi – Roma caput mundi –, die Idee der Weltherrschaft und der Unvergänglichkeit römischer Werte, wie sie in augusteischer Zeit kultiviert wurde, ins Zwielicht geriet. Es ist das Spiel mit dem Begriff „civitas“, das diesen Effekt hervorgebracht hat.

Der Doppelbegriff der zwei Staaten (civitas Dei – civitas terrena) fußt auf der Gnadenlehre Augustins. Zu denken wäre in diesem Zusammenhang an die Darstellung seiner Gnadenlehre im 397 verfassten Brief an Simplician (De diversis quaestionibus ad Simplicianum I 2). Er habe einen Denkfehler gemacht, schreibt Augustin im Hinblick auf die Zeit vor seiner Bekehrung. Er habe geglaubt, der gute Wille treibe den Menschen zur Gnade an, die ihm einen ganzen Himmel an Glückseligkeit schenkt. Doch der gute Wille selbst sei Sache Gottes.

Wer zu Vergils Zeiten lebt, weiß Derartiges nicht. Jupiter erscheint in Donner und Blitz. Von ihm kommt die Wissenschaft der Weissagung, der Divination, der Auspizien. Weder Gnade nach Sünde treiben die Römer an. Eine solche Stufe religiöser Bildung, wie sie Augustins Schriften kennzeichnet, haben Vergils Zeitgenossen nicht erreicht. Zwar heißt es immer, die Römer seien das Volk der Frommen gewesen, die Anhänger der pietas erga deos. Das gilt, doch es sollte nicht dazu verleiten, darin mehr als strenge und unermüdliche Kultpraxis zu sehen. Im Gegensatz hierzu ist das Christentum keine Kultreligion, deren Priester etwa mit genau festgelegter Gebärde den Staat heiligen – wie der flamen Dialis, der Priester mit dem Spitzhut, oder der pontifex maximus, der Vorsteher der Vestalinnen –, sondern ein Glauben mit spekulativen, transzendenten Inhalten.

Der Wert der Theologie Augustins liegt darin, dass er der Totalität der Zeit und der geschichtlichen Erfahrungen eine Perspektive gibt, indem er das paradoxe Gebilde der zwei Staaten (civitas Dei – civitas terrena) zur Periodisierung der Geschichte einführt. Doch Augustins Geschichtstheologie hat ihren Preis. Weil die civitas Dei aufgrund ihrer absoluten Unerreichlichkeit zur Unlust verführt, treibt sie dazu an, die gegenwärtige Welt als babylonisches Machwerk anzusehen, als eine Erscheinung des bösen Willens. Es ist eine Frage der Liebe, zu welcher Welt der Gläubige gehört. Wieder ein Doppelbegriff.

Quelle:

Fecerunt itaque civitates duas amores duo, terrenam scilicet amor sui usque ad contemptum Dei, caelestem vero amor Dei usque ad contemptum sui. Denique illa in se ipsa, haec in Domino gloriatur. Illa enim quaerit ab hominibus gloriam; huic autem Deus – conscientiae testis – maxima est gloria. Illa in gloria sua exaltat caput suum; haec dicit Deo suo: „Gloria mea et exaltans caput meum.“ Illi in principibus eius vel in eis, quas subiugat, nationibus dominandi libido dominatur; in hac serviunt invicem in caritate et praepositi consulendo et subditi obtemperando. Illa in suis potentibus diligit virtutem suam; haec dicit Deo suo: „Diligam te, Domine, virtus mea.“

August. C. D. 14.28

Aufgaben:

  • Stellen Sie die Eigenschaften der civitas terrena der civitas Dei in einer Tabelle einander gegenüber. Orientieren Sie sich dabei an der Verwendung der Demonstrativpronomen haec (civitas) und illa.
  • Übersetzen Sie anschließend den Text und nutzen Sie dabei die Tabelle als Hilfe.
  • Stellen Sie zum Schluss die beiden Liebesbegriffe einander gegenüber.

Lösungshilfe:

civitas terrena

amor sui usque ad contemptum Dei (Z. 2)

illa in se ipsa […] gloriatur (Z. 4)

Illa […] quaerit ab hominibus gloriam (Z. 4–5)

usw.

civitas caelestis

amor Dei usque ad contemptum sui (Z. 3)

haec in Domino gloriatur (Z. 4)

huic […] Deus […] maxima est gloria (Z. 5–6)

usw.