Ciceros Verbannung

Cicero

Cicero: Pro Sestio. Klausur

Erat igitur in luctu senatus, squalebat civitas publico consilio veste mutata. Nullum erat Italiae  municipium, nulla colonia, nulla praefectura, nulla Romae societas vectigalium, nullum collegium aut concilium aut omnino aliquod commune consilium, quod tum non honorificentissime de mea salute decrevisset: Cum subito edicunt duo consules, ut ad suum vestitum senatores redirent. Quis umquam consul senatum ipsius decretis parere prohibuit, quis tyrannus miseros lugere vetuit? Parumne est, Piso, ut omittam Gabinium, quod tantum homines fefellisti, ut neglegeres auctoritatem senatus, optimi cuiusque consilia contemneres, rem publicam proderes, consulare nomen affligeres? Etiamne edicere audeas, ne maererent homines meam, suam, rei publicae calamitatem, ne hunc suum dolorem veste significarent?

Vokabelhilfen:

squalere veste mutata: Trauerkleidung tragen.
societas vectigalium: Generalsteuerpächtergesellschaft.
collegium: Amtsgenossenschaft.
concilium: Verein.
edicere: verkünden.
vetare (Perf. vetui): verbieten – Piso und Gabinius, Konsuln im Jahr 58, hatten sich der Rückberufung Ciceros widersetzt.
consulare nomen: Titel des Konsuls.
affligere: beschädigen.

Aufgaben:

  1. Übersetzen Sie den lateinischen Text ins Deutsche.
  2. Gliedern Sie den Text, versehen Sie die Abschnitte mit passenden Überschriften und fassen Sie Ciceros Darstellung seiner Verbannung zusammen.
  3. Der Redner verwendet in diesem Text sehr viele rhetorische Fragen. Stellen Sie diese Fragen zusammen, erläutern Sie ihre Wirkung und beurteilen Sie kritisch die Häufigkeit der Fragen.
  4. Stellen Sie drei weitere auffällige Stilmittel zusammen und erläutern Sie deren beabsichtigte Wirkung.

Erwartungshorizont

1. Aufgabe
Sie übersetzen den Text, z. B.:

Der Senat war also in Trauer, die Bürgerschaft trug auf offiziellen Beschluss Trauerkleidung. Es gab in Italien kein Municipium, keine Kolonie, keine Präfektur, es gab in Rom keine Generalsteuerpächter-gesellschaft, keine Innung, keinen Verein oder überhaupt irgendeine öffentliche Körperschaft, die sich damals nicht in der ehrenvollsten Weise für mein Wohlergehen ausgesprochen hätte: Als plötzlich die beiden Konsuln anordnen, die Senatoren sollten wieder ihre gewohnte Kleidung anlegen. Welcher Konsul hat jemals den Senat daran gehindert, seine eigenen Beschlüsse zu befolgen? Welcher Tyrann verbot den Unglücklichen zu trauern? Ist es nicht genug, Piso – um Gabinius außer Acht zu lassen –, dass du die Leute so sehr getäuscht hast, dass du die Autorität des Senats missachtet hast, dass du die Beschlüsse aller Guten geringgeschätzt hast, dass du den Staat verraten hast und den Titel des Konsuls in den Schmutz gezogen hast? Wagtest du es auch noch anzuordnen, die Leute dürften mein Unglück, das ihrige und das des Staates nicht betrauern, ihren Schmerz durch die Kleidung nicht zum Ausdruck bringen?

2. Aufgabe
Sie gliedern den Text, versehen die Abschnitte mit passenden Überschriften und fassen Ciceros Darstellung seiner Verbannung zusammen, z. B.:

a) Trauer in Senat und Volk über Ciceros Verbannung (Z. 1–4)
b) Verbot von Trauerkleidung im Senat (Z. 4–5)
c) Vorwürfe Ciceros gegenüber Piso (Z. 6–9).

Cicero schildert im Folgenden die Auswirkungen der lex Clodia. Der Senat habe zum Zeichen der Trauer Trauerkleidung angelegt. Das von Clodius mit der Zustimmung Caesars eingebrachte Gesetz war eine lex Ciceroniana. Ziel des rückwirkend geltenden Gesetzes war offenkundig die Ächtung des ehemaligen Konsuls. Die Bestürzung darüber sei nicht nur in Rom, sondern in ganz Italien laut geworden, schildert Cicero. Das Gesetz hatte zwar nicht unmittelbar die Verbannung Ciceros zur Folge, das hätte nur ein Prozess auf dieser Gesetzesgrundlage erwirken können. Cicero aber reagierte, indem er das Senatorengewand ablegte. Um die Demonstrationen und Gegendemonstrationen, die Sympathiebekundungen zugunsten Ciceros zu verhindern, schreiten die zwei amtierenden Konsuln Piso und Gabinius ein und verbieten es den Senatoren, Trauerkleidung zu tragen. Cicero schildert die Hintergründe nicht, sondern beschränkt sich darauf, den plötzlichen Entschluss der Konsuln mitzuteilen. Zuletzt bringt Cicero seine Empörung zum Ausdruck, indem er das Vorgehen mit scharfen Worten geißelt.

3. Aufgabe
Sie stellen die rhetorischen Fragen zusammen, erläutern und beurteilen sie, z. B.:

Mit drei Fragen wird der Ärger über die Konsuln zum Ausdruck gebracht. Der Redner gibt vor, dass ihm ähnliche Fälle wie der seine noch nicht vorgekommen seien: „Quis umquam consul senatum ipsius decretis parere prohibuit, quis tyrannus miseros lugere vetuit?“ (Z. 5–6).

Das Erstaunen ist allerdings vorgetäuscht und die Empörung künstlich auf die Spitze getrieben, da Cicero das, was er den Konsuln anlastet, in der Sache bewusst verkehrt darstellt. Deren Erlass richtet sich nicht – wie könnte er es auch? – gegen die Trauer im Allgemeinen, die bei Ciceros Abschied empfunden worden ist, sondern gegen das Tragen von Trauerkleidung im Senat. Verdrehung der Tatsachen und gekränkte Emphase sind auch bei den folgenden Fragen vorzufinden. Emphase aber nutzt sich ab. Das wäre auch bei der Häufigkeit der Fragen zu bedenken.

4. Aufgabe
Sie stellen drei weitere auffällige Stilmittel zusammen und erläutern deren beabsichtigte Wirkung., z. B.:

Wut und Empörung Ciceros werden durch folgende rhetorische Mittel unterstützt:

• Tautologie der „Trauer“ anzeigenden Ausdrücke zur Darstellung der allgemeinen Sympathie im Senat (Z. 1),
• Gesetz der wachsenden Glieder zur emphatischen Darstellung der in ganz Italien bekundeten Solidarität mit Cicero (Z. 1–4),
• Anaphern mit ähnlicher Wirkung („Nullum […] nulla […] nulla […] nulla […] nullum […]“, Z. 5): Was die Konsuln verordnen, ist in Ciceros Darstellung demnach beispiellos in ganz Italien,
• Alliterationen mit ähnlicher Wirkung („collegium aut concilium aut […] commune consilium“, Z. 3).